Erfahrungen

von Dagmar Schmidt, Lausitzer Perspektiven

Über Engagement in der Lausitz

Der nachfolgende Text von Dagmar Schmidt erschien als einer von 15 Beiträgen in dem Buch „Wir machen das schon. Lausitz im Wandel“. Das Buch lässt Akteur*innen aus der Nieder- und Oberlausitz zu Wort kommen und zeigt die Vielseitigkeit der Region. Es wurde von Johannes Staemmler stellvertretend für die Lausitz-Forschungsgruppe des IASS Potsdam herausgegeben und im Februar 2021 im Ch. Link-Verlag veröffentlicht. 

 

Der lange Weg zur Bürgerregion

Mit dem Verein Lausitzer Perspektiven bringt die Neu-Radduscherin Dagmar Schmidt die vielfältige Zivilgesellschaft zusammen.

Mein Lausitzer Engagement begann im Jahr 2013 mit einem Auftrag der European Climate Foundation (ECF). Damals beschäftigte diese sich noch von Berlin aus mit der Frage, wie der gesellschaftliche Boden für private Initiativen, gesellschaftliches Engagement, Start-ups und neue Unternehmen für transformative Initiativen genutzt werden kann. Nach der Präsentation der Studienergebnisse „Plan A für die Lausitz“ [1] im Juni 2014 hat sich aus dem Kreis der befragten Akteure eine Initiative gebildet, die sich weiterhin mit der Zukunft und der Frage nach dem guten Leben in der Lausitz befasst. .

Vor dem Hintergrund tiefgreifender und sich verschärfender sozioökonomischer und ökologischer Veränderungen wird nicht nur in den Kohlerevieren ein struktureller Wandel [2] in Richtung Nachhaltigkeit notwendig. In der Gegenwart – und in der Zukunft – werden sich alle gesellschaftlichen Themenfelder verändern. Das macht den vor uns liegenden Lausitzer Strukturwandel so beispielhaft. Es ist unsere Chance, dass er dabei nicht nur den Marktkräften überlassen wird, sondern in einem politisch gestalteten und finanziell großzügig abgepufferten Rahmen stattfindet.

Keine der ansässigen Organisationen, Verwaltungen, Unternehmen oder die Politik verfügt über ausreichend Ressourcen, um den komplexen Aufgaben allein gerecht zu werden. Deshalb ist es wünschenswert, dass die Transformation der Region auf vielen Ebenen zu einer besseren, also zukunftsfähigen und nachhaltigen Entwicklung führt. Um in dieser komplexen Gemengelage Zukunftsfähigkeit herzustellen, werden Partnerschaften über verschiedene Bereiche hinweg notwendig sein. Auch die daran beteiligten zivilgesellschaftlichen Kräfte können die Lösungsansätze mit den Bedürfnissen der Menschen verbinden.

Anhand der bisherigen Lausitzer Erfahrungen beleuchtet dieser Beitrag, inwiefern gemeinsames Wirken (Collective-Impact-Ansatz [3]) bei der Gestaltung des anstehenden Wandels wirksam werden kann.

Strukturpolitik 2.0

Erst der Rückblick zeigt in aller Deutlichkeit, wie sehr sich die Rahmenbedingungen des Lausitzer Strukturwandels in den letzten Jahren verändert haben. Denn die veränderte Perspektive auf die Lausitzer energie- und klimapolitischen Debatten bedeutet, dass sich nun die Frage stellt, wie der Kohleausstieg gestaltet wird.

Spätestens seit 2015 war klar, dass sich in der Region etwas verändern würde. Überraschend hatte der Energiekonzern Vattenfall erklärt, sich von der Lausitzer Kohlesparte zu trennen. Vattenfalls neues Geschäftsmodell setzte auf nachhaltige Strom- und Wärmeerzeugung, unter anderem um die CO2-Reduktionsziele der schwedischen Regierung zu unterstützen. Diese Ziele ließen sich nicht mehr mit dem Lausitzer Kohlegeschäft vereinbaren. Dadurch wurde die Lausitzer Gewissheit infrage gestellt, dass die „Brückentechnologie“ Kohle langfristig als gesetzt gilt.

In der Zwischenzeit ist der Kohleausstieg im Zuge der Gesamtstrategie für den langfristigen Klimaschutz beschlossene Sache. Der nun angestoßene Transformationsprozess wird mit 17 Milliarden Euro für die Lausitz durch das Strukturstärkungsgesetz unterfüttert. Ein weiteres Signal, dass es ernst wird mit dem postfossilen Wandel, ist der europäische Green Deal. [4] Zudem wurde 2017 eine multisektorale Plattform ins Leben gerufen: die „Platform for Coal Regions in Transition“. Diese soll allen betroffenen europäischen Kohleregionen helfen, die Herausforderungen der erforderlichen wirtschaftlichen Diversifizierung für eine kohlenstoffarme Energiewende zu bewältigen.

Zwischen Deutschland und der Europäischen Union herrscht Einvernehmen darüber, dass der bislang bestehende, scheinbar unvereinbare Gegensatz zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und ökologischer Nachhaltigkeit überwunden werden muss. Im Vordergrund steht der Wunsch, die Regionen sowohl sozial- und wirtschafts- als auch umweltverträglich weiterzuentwickeln. In diesem Kontext wird von einer „Just Transition“ – einem sozial gerecht gestalteten Übergang – gesprochen. Anders als bei Strukturbrüchen in der Vergangenheit sollen soziale Belange besonders gewürdigt werden.

In der Lausitz blieb für längere Zeit unklar, wer die darauf abzielenden Veränderungsprozesse in der Region begleiten soll. 2018 wurde die Wirtschaftsregion Lausitz GmbH etabliert, eine länderübergreifende Struktur und gemeinsame Initiative der Lausitzer Gebietskörperschaften. [5] Ihr größtes, aus Bundes- und Landesmitteln finanziertes Projekt war die „Zukunftswerkstatt Lausitz“ (ZWL). In einem breit angelegten Beteiligungsprozess sollten dort Bürgerinnen und Bürger und die interessierte Fachöffentlichkeit mit ihren jeweiligen Visionen und Leitideen für eine zukünftige Entwicklung der Lausitz einbezogen werden. Hierzu wurden von 2018 bis 2020 mit großem Aufwand Studien in Auftrag gegeben, on- und offline Befragungen und Bürger-Dialog-Veranstaltungen durchgeführt. Auch der Aufbau von länderübergreifenden Netzwerken wurde gefördert.

Insbesondere die Bürgerbeteiligungsprozesse liefen schleppend. Um dem neuen Lausitzer Narrativ ein Gesicht zu geben, hätten auch andere Persönlichkeiten, Zugpferde und Multiplikatoren aus verschiedenen Sektoren eingebunden werden müssen. Das ließ sich in der Schnelle des Projektgeschäfts und der Neuheit der Institution nicht bewerkstelligen. Zudem ist ein allgemeiner Vertrauensverlust in die Politik – und indirekt in die Verwaltungen – regional spürbar und weit verbreitet. Der repräsentative Lausitz-Monitor 2020 [6] zeigt, dass 67 Prozent der Bevölkerung unentschieden sind, ob der Wandel erfolgversprechend oder zum Scheitern verurteilt ist. Die Lausitzerinnen und Lausitzer nehmen eine abwartende Haltung ein.

Widerstände finden Ausdruck unter anderem in den guten Wahlergebnissen der Parteien, die notwendige Transformationsprozesse in Abrede stellen, sowie der großen Skepsis, dass die etablierten Parteien die notwendigen Lösungskompetenzen in Bezug auf den Strukturwandel haben. Diese Vorbehalte müssen ernstgenommen und bei der Entwicklung von Lösungen berücksichtigt werden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Transformation scheitert, weil politische Mehrheiten entstehen, die verhindern, die im Strukturwandel liegenden Chancen zu nutzen.

Trotz aller Schwierigkeiten konnte die Zukunftswerkstatt Ende 2020 eine Vielzahl von konkreten Anregungen, Ideen und Vorschlägen vorlegen. Diese flossen abschließend in die „Entwicklungsstrategie Lausitz 2050“ ein, die digital, partizipativ und über mehrere Monate hinweg organisiert und verfasst wurde. Mehr als 40 Lausitzer Autorinnen und Autoren aus unterschiedlichen Fachbereichen waren am Schreibprozess beteiligt. Vor allem die Handlungsfeldziele sowie die Vielzahl von Studien, die als Wissensbasis für themenspezifische Auseinandersetzungen genutzt werden können, sind relevant.

Zwischenzeitlich entwickeln sich neue Unterstützungsstrukturen. Zum einen haben die Bundesländer beschlossen, zwei separate Entwicklungsgesellschaften in Sachsen und Brandenburg zu etablieren. Ein Vorgang, der diejenigen behindert, die sich für eine sichtbare, gemeinsame regionale Identität einsetzen. Zum anderen zeigt sich, dass die Milliardenhilfen des Bundes vordringlich für investive Großprojekte und Infrastruktur bereitstehen.

Die Art und Weise, wie diese Entwicklungsgesellschaften daneben „Bottom-up“-Prozesse unterstützen und eine kleinteilige, kommunale Projektförderung umsetzen, wird der Lackmustest für den Lausitzer Strukturwandel sein. Zu diesem Zweck würden thematische Werkstätten wie in Brandenburg in den Handlungsfeldern der Entwicklungsstrategie gezielt die Arbeit der Entwicklungsgesellschaften ergänzen. Dort könnten Partner aus Wirtschaft, Wissenschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft Lösungsstrategien gemeinsam entwickeln. Für eine kompetente Begleitung solcher Prozesse braucht es sogenannte Facilitation. Damit sind Methodenkompetenzen gemeint, um die dort entwickelten Lösungen durch wirklich gute Entwicklungen und Veränderungen voranzubringen (siehe auch den Beitrag von Manuela Kohlbacher und Markus Füller im selben Buch).

Manche dieser Dynamiken signalisieren Aufbruchstimmung, andere schaffen unübersichtliche Verantwortlichkeiten. Um mehr Menschen für den Strukturwandel zu gewinnen, brauchen wir mehr Transparenz und eine dauerhafte Beteiligungskultur. Jetzt kollektive Handlungsfähigkeit herzustellen funktioniert mit den neuen Ansprechpartnern und zusätzlichen Mitteln so gut wie noch nie zuvor.

Neue Kapazitäten für die Zivilgesellschaft

Auch für die Zivilgesellschaft standen die Räder lange Zeit still. Noch 2013 war im Koalitionsvertrag Brandenburgs zu lesen, dass „die konventionellen Kraftwerke (Braunkohle, Steinkohle, Gas) als Teil des nationalen Energiemixes auf absehbare Zeit unverzichtbar sind“. Sosehr sich zivilgesellschaftliche Organisationen seit Jahrzehnten in haupt- und ehrenamtlichem Engagement für klimaverträgliche Veränderungen in der Region eingesetzt hatten, der Kohleausstieg war nicht in Sicht. Angesichts dessen gab die an einem baldigen Kohleausstieg interessierte European Climate Foundation (ECF) eine aktivierende Befragung und Analyse in Auftrag. So sollten in der sächsischen und brandenburgischen Lausitz Alternativen zur politischen Kampagnenarbeit eruiert werden.

Unter dem Arbeitstitel „Plan A für die Lausitz“ versammelte die Analyse 2014 vielfältige Vorstellungen progressiver Lausitzer Kräfte, Personen und Gruppen für eine postfossile Zukunft. Es ging auch darum, wie ein Bündnis aus unabhängigen, multisektoralen Akteuren beschaffen sein müsste, um ein gemeinsames, regionales Zukunfts- oder Leitbild zu entwerfen. Dieses Leitbild des „guten Lebens in der Lausitz“ sollte mit einer positiven Entwicklungsperspektive verbunden sein. Im Ansatz richtete es sich deshalb nicht explizit gegen etwas, auch nicht gegen die Nutzung der Braunkohle. Die Idee zielte vielmehr darauf ab, durch ein bejahendes Zukunftsszenario viele Menschen für die Gestaltung ihrer eigenen Zukunft zu gewinnen.

Schon damals bestand der Wunsch, die evangelische Kirche (Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, EKBO) als Initiatorin eines solchen Leitbildprozesses zu gewinnen. Viele Befragte fanden an der Idee Gefallen, der Kirche in einem Gemeinschaftsprozess ein zentral unterstützendes Gewicht zu geben. Sie ist in nahezu jedem Ort präsent und erreicht die heterogenen Teile der Gesellschaft (siehe auch den Beitrag von Sinziana Schönfelder im selben Buch). Die Kirche wird als neutral wahrgenommen und kann somit alle an einen (runden) Tisch bringen. Am Ende ihrer Deliberation sah sich die EKBO jedoch nicht dazu in der Lage, die Projektträgerschaft zu übernehmen. Damit war die ursprüngliche Idee nicht mehr umsetzbar. Auch fand sich kein weiterer in der gesamten Lausitz anerkannter Akteur, der einen solchen Prozess legitimieren und mit Gravitas hätte initiieren können.

Der Wunsch nach Veränderung lag also schon 2013 in der Luft und wurde im Laufe der Zeit immer stärker. Der Braunkohleabbau war und ist aus Sicht vieler Lausitzerinnen und Lausitzer einer der Einzelfaktoren für die Zukunftsgestaltung der Region. Aber eben nicht der einzige. Gleichzeitig waren viele zivilgesellschaftliche Kräfte an den sogenannten Kohlewiderstand gebunden. Neben dem neutralen Eigner eines Szenario-Prozesses fehlten dadurch Kapazitäten bei den Engagierten.

Die in der Analyse 2013/14 Befragten sprachen sich dafür aus, die Idee einer neu zu formenden lokalen Initiative weiterzuverfolgen. „Wenn die anderen noch nicht wollen, machen wir uns schon auf den Weg!“, so formulierte es einer der Interviewten. Nach Ansicht vieler Teilnehmenden war die Zeit reif für eine neue Koalition aus gestaltungswilligen und vorwärtsdenkenden Akteuren. Aus vergangenen Projekten und bestehender Netzwerkarbeit war allerdings erkennbar, dass die zielgerichtete Vernetzung Lausitzer Initiativen bisher nicht dauerhaft gelungen war. Konkret braucht es eine stetige professionelle Begleitung („Rückgrat“) sowie unabhängige Finanzierungsquellen, um die Zusammenarbeit zu fördern und zu stabilisieren.

Eine Idee kehrt zurück. Der Kreis schließt sich 

Jahre später gründete die EKBO das „Zentrum für Dialog und Wandel“, um ihre Aktivitäten im Lausitzer Strukturwandel zu bündeln. Des Weiteren entstand 2016 der Verein Lausitzer Perspektiven, den einige der 2013/14 Befragten gründeten. Zwei Initiativen, die für einen inklusiven und positiv zu gestaltenden Lausitzer Wandel stehen. 2018 traten die beiden Organisationen gemeinsam an die Öffentlichkeit, um für die Unterstützung der Zivilgesellschaft im Strukturwandel zu werben. Der Vorschlag, einen „Fonds Zivilgesellschaft“[7] ins Leben zu rufen, ist somit ein direktes Resultat aus dem „Plan A für die Lausitz“.

Im Verein Lausitzer Perspektiven Aktive gehören zu denjenigen, die an der Mitgestaltung einer nachhaltigen Zukunft großes Interesse haben. Dabei geht es ihnen mit Blick auf den Strukturwandel vor allem um die Gestaltungsperspektive einer nachhaltigen Gesamtentwicklung. Zudem möchten sie, dass Menschen ihre Erfahrungen einbringen können. Seit 2018 arbeiten sie deshalb an einem länderübergreifenden Netzwerk der organisierten Zivilgesellschaft, der Bürgerregion Lausitz, mit. Der von der Autorin mitbegründete Verein Lausitzer Perspektiven hat – bis auf Weiteres – die Trägerschaft des Netzwerkes inne. Die Bürgerregion Lausitz möchte eine Plattform für neue Formen der Bürgerbeteiligung sein – und ist gleichzeitig selbst eine solche Neuerung. In den Augen der Gründerinnen und Gründer ist die zivilgesellschaftliche Partizipation die Grundlage für eine Transformationskultur. Für die Umsetzung ihrer Dialog- und Beteiligungsprozesse werden die Strukturen der Mitgliedsorganisationen genutzt und ausgebaut. Zudem ließen sich die Kapazitäten aller Beteiligten gezielt ausweiten. Zurzeit erproben sie aufgrund von Corona neue Sitzungsformate und optimieren die digitale Zusammenarbeit. Dadurch werden die lausitzweiten Wege überbrückbar.

Noch ist offen, ob und wie die Zivilgesellschaft mit der neu geschaffenen Plattform in die „von oben“ geplanten Strukturen hineinpasst. Mit ihrer Fachkompetenz und ihrem lokalen Wissen könnten sie unter den veränderten Rahmenbedingungen eine neue Dynamik einbringen. Gesellschaftlicher Dialog ist wie Strukturwandel per definitionem Gemeinschaftsaufgabe und kann nur mit breiter Beteiligung aller Interessengruppen funktionieren. Hierzu ist die Bürgerregion ein Angebot an die regionale und überregionale Politik, Verwaltungen, Wissenschaft und Wirtschaftsförderungen. Aktuell ist die Bürgerregion eine Initialzündung. Um sich effektiv einzubringen und einen signifikanten Entwicklungsbeitrag zu leisten, werden jetzt weitere finanzielle und personelle Kapazitäten benötigt.

Collective Impact – gemeinsam für die Lausitz

Die Frage, ob und wie lokale und regionale Entscheidungsträger sich ihrer Gestaltungsaufgabe im Strukturwandel annehmen, ist offen. Sicher ist, dass sich die Maßnahmen unmittelbar auf die Lebensbedingungen der Lausitzerinnen und Lausitzer auswirken werden. Um die Akzeptanz und die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger und wichtiger zivilgesellschaftlicher Akteure für die staatlichen Vorhaben zu gewinnen, sind neben einer soliden Wissensbasis mehr Austauschforen erforderlich. Sich zu vernetzen und möglichst partizipativ zu organisieren, ist kein Selbstzweck, sondern auch Mittel zum Zweck. Dabei sind die üblichen themenspezifischen Netzwerke ein Startpunkt.

Als Erweiterung bedarf es eines kollektiven Ansatzes. Auf Collective-Impact-Plattformen („Plattformen für gemeinsames Wirken“) ist es das erklärte Ziel, sich über die Sektoren hinweg zu vernetzen, um gemeinsam wirksam zu werden. Dabei schließen sich verschiedene Akteure zu einer dauerhaften Verantwortungsgemeinschaft zusammen. Beispiele hierfür gibt es in Deutschland bislang nur wenige.

Heraus sticht die anschauliche Bildungsinitiative RuhrFutur, in der systemrelevante Bildungsakteure der Ruhr-Metropolen kooperieren. Sie waren sich einig, dass die gesellschaftliche Aufgabe, das Bildungssystem nachhaltig zu verändern, nur gemeinsam bewältigt werden kann. Aus diesem Grund orientiert sich die Arbeit von RuhrFutur am Ansatz des Gemeinsamen Wirkens (Collective Impact). Dort organisiert eine stark besetzte Geschäftsstelle die Arbeit von Land, Kommunen, Hochschulen und Zivilgesellschaft über alle Themenfelder hinweg – von der frühkindlichen bis zur Hochschulbildung. Die Geschäftsstelle ist das Rückgrat und zentrale Schalt- und Anlaufstelle. Gleichzeitig entsteht eine ungewöhnlich hohe Innovationskraft durch verschiedene Mitgestaltungsmöglichkeiten.

Am Anfang eines solchen Zusammenschlusses stehen eine Vereinbarung über eine langjährige Kooperation sowie die Ziele und Wirkungen, die gemeinsam erreicht werden sollen. Danach nehmen die Beteiligten die ihrer Meinung nach drängendsten Fragestellungen und größten Herausforderungen in den Blick. Wenn die Plattform konstituiert ist, arbeiten auf ihr wissenschaftliche, politische, zivilgesellschaftliche und administrative Vertreterinnen und Vertreter an sozialen Innovationen. Der verstetigte Dialog verbessert nicht nur die Ausgestaltung von Lösungen, sondern erhöht auch das Vertrauen in die Gestaltungskraft und Selbstwirksamkeit der Beteiligten. Diese werden in Projekten konkret, erfahr- und sichtbar.

Die Geschäftsstelle unterstützt die Partner, indem sie

  • ihre Arbeit aktiv begleitet,
  • Bedarfe gemeinsam identifiziert,
  • die Kommunikation zwischen den Beteiligten koordiniert,
  • Veranstaltungen organisiert,
  • inhaltliche und strukturelle Impulse setzt.

Maßnahmen und Projekte werden in immer wieder neuen Konstellationen gemeinsam umgesetzt und die Programme verbessert. Die Geschäftsstelle bereitet das steuerungsrelevante Wissen auf und schafft somit eine fundierte Datenbasis für die strategische Ausrichtung der Handlungsfelder. Die Wirkung der Plattform-Aktivitäten im Hinblick auf die Ziele wird regelmäßig evaluiert.

Die Stiftung Mercator hat RuhrFutur initiiert und finanziert Teile der Arbeit bis heute. Die praktischen Erfahrungen zeigen allerdings, dass es einen langen Atem braucht, um Plattformen aufzubauen und arbeitsfähig zu konstituieren.

Aufbruch in der Lausitz

Ein Initiator wie die Stiftung Mercator ist in der Lausitz leider nicht in Sicht. Die landeseigenen Entwicklungsgesellschaften sind aufgefordert, durch Kooperationen die Initiative zu ergreifen. Von ihnen – und dem politischen Willen – wird es abhängen, ob vorhandene Vernetzungsstrukturen zu multisektoralen Ansätzen werden. Falls dies nicht gelingt, befürchtet die Autorin, dass die abwartende Haltung der Bürgerinnen und Bürger in offene Ablehnung umschlägt.

Neben den ersten Schritten in Richtung Zivilgesellschaft haben sich Lausitzer Wissenschaftsnetzwerke, Wirtschaftsinitiativen, kommunale Verbünde und andere aufgemacht, Zukunftsprozesse zumindest sektoral gemeinsam zu denken. Der nächste Schritt ist das gezielte gemeinsame Wirken. Eine echte Chance für einen „Collective Impact Marke Lausitz“! Der Region selbst ist es zu wünschen, dass jetzt die Zeit für einen Plan A und neue Ansätze für die regionale Entwicklung gekommen ist. Um es mit den Worten eines Gesprächspartners der Voruntersuchung „Plan A für die Lausitz“ zu sagen: Er wünscht sich, dass Menschen überzeugend sagen können: „Der Lausitz meine Zukunft geben!“

 

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[1] „Plan A für die Lausitz“, 2014 (alle Internetseiten zuletzt abgerufen am 07.07.2021).

[2] Die Verfasserin spricht absichtlich vom Wandel bzw. Strukturwandel oder Transformation, um zu verdeutlichen, dass es sich um einen umfassenden Wandel auf mehreren Ebenen und entlang unterschiedlicher Pfade handelt.

[3] Collective Impact – unter „gemeinsam wirken“ wird eine Kooperation verstanden, bei der sich die wichtigsten Akteure aus allen betroffenen Sektoren zum Erreichen eines gemeinsamen und messbaren Ziels verpflichten und dieses langfristig verfolgen.

[4] „Ein europäischer Gründer Deal“.

[5] Erstmals arbeiten sieben regionale Gebietskörperschaften länderübergreifend zusammen: Landkreise Bautzen, Dahme-Spreewald, Elbe-Elster, Görlitz, Oberspreewald-Lausitz, Spree-Neiße, Kreisfreie Stadt Cottbus.

[6] Der Lausitz-Monitor beruht auf einer seit dem Frühjahr 2020 jährlich durchgeführten Online-Befragung; repräsentative Stichprobe nach Alter, Wohnort, Geschlecht; im Februar 2020: 523 Befragte in den zur Lausitz gehörenden Gebietskörperschaften.

[7] „Fonds Zivilgesellschaft Lausitz“, 2018.

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